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Alles im Fluss

Hellwege/Ottersberg. Die Sonne scheint, ein leichter Wind geht und hinter uns rauscht der Fluss ein kleines Wehr hinunter. Wir sind an der Wümme bei Hellwege. Unterhalb des Wehres lassen wir die Boote zu Wasser. Vorsichtig klettere ich ins Kajak. Ohne Übung ist das gar nicht so einfach. Irgendwie schaffe ich es schließlich, meine Beine dorthin zu bekommen, wo sie hingehören und es kann losgehen. Der Anlass für diese Tour ist ein ganz Besonderer: Der Ottersberger Kanuclub feiert in diesem Jahr sein 40-jähriges Bestehen. Grund genug für die Redaktion der Rotenburger Rundschau, selbst einmal ins Boot zu steigen, die Mitglieder des Vereins bei dem zu begleiten, was sie am liebsten tun: Kajak fahren. Mit der Wümme haben sie einen Fluss vor der Tür, der sich perfekt für diesen wunderschönen Sport eignet.

An diesem Tag wollen wir vom Wehr in Hellwege bis zum Sportplatz nach Ottersberg paddeln. Das sind auf dem Wasser genau elf Kilometer. Für die zum Teil seit Jahrzehnten paddelnden Mitglieder des Ottersberger Kanuclubs ist das eher eine Kurzstrecke, die auch schon mal nach Feierabend zurückgelegt wird. Für einen ungeübten Erstpaddler sind elf Kilometer schon mal eine Ansage.

Nachdem ich es mir im Boot bequem gemacht habe, tauche ich die Enden des Paddels vorsichtig ins Wasser und ziehe sie durch. Das Kajak nimmt Fahrt auf. Na bitte, geht doch, auch wenn die ersten Meter einigermaßen kippelig sind. Doch ich bekomme schnell ein Gefühl für das Boot und kann mich der nächsten Herausforderung widmen. Die erste Kurve liegt vor uns. Mit dem Boot den richtigen Kurs einzuschlagen, ist einfach, es auf dem Kurs zu halten bedarf eines wohldosierten Hantierens mit dem Paddel. Stefan Bassen, Pressewart des Vereins, gibt mir einige Tipps, wie ich die Fahrt wieder verlangsamen kann und schon klappt auch diese Übung. Nach einem knappen Kilometer habe ich so langsam ein Gefühl für das Boot entwickelt und es macht (meistens) das, was ich will. Ich kann also anfangen, diese Tour zu genießen. So wie Petra Holsten, die ganz vorn in der kleinen Gruppe paddelt.

„Etwas draußen machen“

Petra Holsten hat den Kajaksport vor zehn Jahren für sich entdeckt. Zum Verein gekommen ist sie, weil sie etwas mehr Bewegung in ihr Leben bringen wollte, wie sie mir erzählt. Sie konnte sich allerdings nicht vorstellen, ihre sportlichen Aktivitäten in einer Turnhalle auszuüben. „Ich wollte etwas draußen machen und bin so auf den Ottersberger Kanuclub gestoßen“, erinnert sie sich. Inzwischen kümmert sich Holsten im Vorstand um die Finanzen des Vereins. Auch auf vielen der gemeinsamen Touren ist sie dabei. In diesem Jahr hat sie erstmals an der Aller-Hochwasser-Rallye teilgenommen. Für die Kanuten in Norddeutschland ist die jährlich Ende März stattfindende Tour so etwas wie der Saisonauftakt. Ein ausgesprochen ambitionierter Saisonauftakt allerdings: Die Boote werden in Celle zu Wasser gelassen, von dort aus geht es immerhin 112 Kilometer bis nach Verden. Eine Strecke, vor der auch Holsten gehörigen Respekt hatte.

Aus diesem Grund hatte sie sich entschieden, die Rallye gemeinsam mit Michael Grunwald in einem Zweier-Kajak zu fahren. Auch er ist seit vielen Jahren im Ottersberger Kanuclub und als Wanderwart im Vorstand des Vereins für die Tourenplanung und die Statistik zuständig. Statistik?

„Ich werte die von den Vereinsmitgliedern gefahrenen Strecken aus und rechne die zurückgelegten Strecken zusammen“, erläutert der begeisterte Wanderkanute. Im vergangenen Jahr haben die rund 80 Mitglieder des Vereins immerhin rund 9.200 Kilometer zurückgelegt.

Viele dieser Kilometer werden im Rahmen der zahlreichen gemeinsamen Vereinstouren zusammengepaddelt. In diesem Jahr ging es bereits auf die Trave, die einige Mitglieder des Vereins von Bad Segeberg bis nach Travemünde befuhren. Ein Highlight dieser Tour: Aufgrund der idealen Wetterbedingungen ging es auch noch einige Kilometer auf die Ostsee hinaus. „Für einen Wanderkanuten, der normalerweise auf Flüssen unterwegs ist, war das natürlich ein ganz besonderes Erlebnis“, schwärmt Grunwald. Aber auch eines, das sich nur wirklich geübte Paddler zutrauen sollten, denn in einem gerade mal gut fünf Meter langen Kajak bekommt die scheinbar endlose Weite der offenen See noch einmal eine ganz andere Bedeutung.

Eine weitere Tour hat die Ottersberger Kanuten über Pfingsten an die Müritz geführt. Dort ging es über mehrere Seen, die mit Flüssen und Kanäle miteinander verbunden sind. Auch dort war es vor allem die Natur, die die Ottersberger Paddler beeindruckt hat.

Mit einer Tour auf dem Rhein steht in wenigen Wochen ein weiterer Höhepunkt auf dem Programm. „Nachdem wir vor einigen Jahren den Rhein von Speyer bis Düsseldorf befahren haben, wollen wir die Boote diesmal in Schaffhausen zu Wasser lassen und den Rhein abwärts paddeln,“ erläutert Arno Gundlack.

Auch er paddelt schon seit seiner Jugend und führt darüber hinaus seit einer kleinen Ewigkeit als Vorsitzender die Geschicke des Ottersberger Kanuclubs. Trotz seines langjährigen Engagements im Vorstand ist er häufig mit seinem Wanderboot auf dem Wasser zu finden. Vor allem die Heideflüsse wie Luhe, Örtze oder eben die Wümme haben es ihm angetan. „Auf dem Wasser sieht man die Welt aus einer anderen Perspektive, man kann auf andere Gedanken kommen und sich mitunter auch mal im wahrsten Sinne des Wortes treiben lassen und einfach diese traumhafte Natur genießen“, beschreibt Gundlack das, was diesen Sport für ihn ausmacht. Während er mir das erzählt, fahren wir an Steilufern entlang an denen sich die Eingänge zu den Bruthöhlen der Eisvögel befinden. Ich kann ihn gut verstehen.

Wir erreichen die Sohlgleite bei Hellwege. Dort stand früher ein Wehr. Das wurde wie die meisten Wehre entlang der Wümme zurückgebaut und durch Sohlgleiten ersetzt. So sollen die Laichwanderungen für Wanderfische wie Meerforellen und Lachse erleichtert werden. Aber auch die Paddler profitieren davon: Musste man noch bis vor einigen Jahren an den Wehren die Boote umtragen, kann man sich heute bequem von der Strömung die Sohlgleiten hinuntertreiben lassen.

Auch wenn es sich beim Paddelsport um eine sehr umweltfreundliche Sportart handelt, müssen die Kanuten inzwischen mit zahlreichen Einschränkungen leben.

„Einige Flüsse wie die Wieste sind inzwischen für alle Wassersportler gesperrt, andere dürfen nur in bestimmten Jahreszeiten befahren werde. Und auch das Hausgewässer der Ottersberger, die Wümme, darf nur befahren werden, wenn die Wasserstände es zulassen“, berichtet Vorstandsmitglied Bassen.

Entschleunigung auf dem Wasser

Auch er kann sich ein Leben ohne seine Kanutouren nicht mehr vorstellen. „Auf dem Wasser erlebt man das, was heute gern als Entschleunigung bezeichnet wird, man kann die Hektik des Alltags hinter sich lassen“, so der Pressewart, der seit 36 Jahren dabei ist. Auch er ist ein begeisterter Tourenfahrer. Vor drei Jahren hat er sich einen Traum erfüllt und gemeinsam mit Freunden den Yukon-River in Kanada befahren. „740 Kilometer durch die Wildnis ohne jegliche Zivilisation“, berichtet er mit glänzenden Augen. Natur pur für den Naturliebhaber.

Natürlich ist die Wümme und das Land, durch die sie fließt, nicht mit der nordkanadischen Wildnis vergleichbar, aber auch sie ist ein anspruchsvolles und zugleich eindrucksvolles Gewässer. Vor allem auf dem Nordarm schmeckt das Wasser schon ein kleines bisschen nach Abenteuer. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, weil sich die Wümme ein streckenweise tiefes Flussbett gegraben hat, man als Paddler von der Zivilisation nur etwas mitbekommt, wenn man unter Brücken hindurchfährt.

Ein Gefühl von Abenteuer kommt aber auch auf, weil man sich teilweise regelrecht durch die überbordende Vegetation mit seinem Boot durchkämpfen muss. Das ist die Paradedisziplin von Armin Viets. Auch er ist im Verein ein Urgestein. Schon kurz nach der Gründung ist er als Jugendlicher dazu gestoßen, heute kümmert er sich als Jugendwart um die jüngeren Neumitglieder. „Das könnten durchaus etwas mehr sein“, bedauert Viets. Gerade der Paddelsport könne jungen Menschen sehr viel geben. Zum einen, weil er den Teamgeist fördert, zum anderen, weil der Sport so facettenreich ist. Wer mal in den Kanusport hineinschnuppern möchte, ist bei ihm und den anderen Ottersberger Kanuten sehr gut aufgehoben. Man kann mit ihnen eine Schnuppertour vereinbaren und so diesen Sport in einem der zahlreichen Vereinsboote kennenlernen. Wem es gefällt, bekommt neben einem sehr freundschaftlich geprägten Vereinsleben, noch einiges mehr geboten.

Unsere Tour neigt sich dem Ende entgegen. Kurz vor Ottersberg ist noch einmal Geschicklichkeit gefragt. Im Nordarm liegt ein umgestürzter Baum. Nur eine schmale Durchfahrtmöglichkeit ist vorhanden. Vorsichtig manövriere ich hindurch. Viets macht sich die Sache leichter. Ebenso wie Gundlack fährt er mit seinem robusten Boot einfach über den Baumstamm hinweg. Das sieht professionell aus, erfordert aber einiges an Können und vor allem viel Gefühl für das Boot.

Dann kommt die Straßenbrücke von Ottersberg in Sicht. Elf Kilometer Wümme liegen hinter mir. Eine wunderschöne Tour geht zu Ende. Ich kann gut nachvollziehen, warum Petra, Arno, Michael, Armin, Stefan und die vielen anderen Ottersberger Kanuten so gern mit ihren Kajaks unterwegs sind. Auch ich habe in diesen knapp zweieinhalb Stunden auf dem Wasser viel erlebt, hätte nicht gedacht, wie ursprünglich die Wümme noch immer ist, und auch nicht, wie wunderbar ruhig es dort zugeht. Da ist man nur wenige Kilometer von Zuhause entfernt und doch in einer ganz anderen Welt unterwegs.

Autor: Stefan

Stefan ist der Pressewart des Ottersberger Kanu-Clubs. Er verfasst Artikel, kommuniziert mit Journalisten und wagt sich von Zeit zu Zeit auf abenteuerliche Touren auf fernen wilden Flüssen.

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